Wettbewerbsnachteile durch Inlandsproduktion zwingen Märklin zu Arbeitsplatzabbau in Göppingen

Brandora Redaktion Oktober 2004
 

Nach massiven Protesten, Streik und Demonstrationen stand die Produktion bei Märklin für drei Tage still. Die Auseinandersetzungen um Arbeitsplätze und Arbeitsbedingungen beim Göppinger Modelleisenbahnhersteller waren hervorgerufen worden, durch Ende September veröffentlichte Pläne zur Verlagerung und Streichung von Arbeitsplätzen in Göppingen.

Das Traditionsunternehmen will die nicht automatisierbaren Montagearbeiten an die Produktionsstandorte im thüringischen Sonneberg sowie nach Nürnberg abgegeben. Die Lohnkosten sind uns davongelaufen, erläuterte Geschäftsführer Paul Adams der "Financial Times Deutschland" (Montag 11.10. Internetausgabe). Die Preise der Modelle wurden angepasst. "Nur kommen wir jetzt in eine Situation hinein, in der der Markt diese Preisschiene nicht mehr akzeptiert", betonte der Firmenchef. Die Verlagerung soll in Göppingen rund 400 Mitarbeiter betreffen. "Die Zahl der Stellen wird zurückgehen. Ich kann keine genauen Zahlen nennen, die Verhandlungen laufen derzeit", sagte Adams weiter.

Mit der Neuordnung der Produktion werden die Zukunft des Unternehmens, sowie Qualitätsanspruch und Werte der Marke Märklin langfristig auf ein sicheres Fundament gestellt. Das heißt: Das Unternehmen will weiterhin zwei Drittel der Belegschaft an deutschen Standorten beschäftigen, sowie 90 Prozent seiner hochwertigen Produkte in eigenen europäischen Werken herstellen. Um das zu erreichen, wird derzeit ein tragfähiges Konzept im Werksverbund formuliert. "Wir wollen den Markt auch in Zukunft maßgeblich führen. Märklin ist eine große deutsche Marke mit internationaler Reputation. Das Vertrauen unserer vielen Fans und Sammler setzen wir nicht aufs Spiel, daher werden wir unsere Produkte konsequent weiterentwickeln, ständig Innovationen bringen und unsere Produkte in der bekannt exzellenten Qualität liefern", sagte Paul Adams.

Das Unternehmen wurde 1859 von Theodor Märklin im schwäbischen Göppingen gegründet und stellte zunächst Blechspielwaren wie Puppenherde und Fahrzeuge her. 1988 übenahmen die Söhne Carl und Eugen das Unternehmen und brachten drei Jahre später dann das erste Modelleisenbahn-System heraus. Mit Erfolg, denn bereits vor Beginn des ersten Weltkriegs beschäftigten die "Gebr. Märklin" 600 Mitarbeiter. Heute sind unter der Märklin Holding GmbH die Gebr. Märklin & Cie. GmbH, die Trix Modelleisenbahn GmbH & Co. KG sowie die Modellbahnen-Welt-Verlags-GmbH zusammengefasst. In Göppingen, Sonneberg, Nürnberg sowie im ungarischen Györ werden Modelllokomotiven, Wagen, Gleise und Zubehör in allen gängigen Spurweiten gefertigt. Ende des vergangenen Jahres waren in der Gruppe 2145 Mitarbeiter beschäftigt, davon 1725 in Deutschland. Der Umsatz betrug 2002 170,5 Millionen Euro (2001 etwa 163,9 Millionen Euro). Der Exportanteil, des noch heute in Familienbesitz befindlichen Unternehmens, liegt bei etwa 28 Prozent. Zum Geschäftsjahr 2003 wollte Geschäftsführer Adams noch keine Angaben machen. Nur soviel: "Wir haben keine negativen Zahlen geschrieben." Die Daten für das Vorjahr sollen am 19. Oktober vorgelegt werden, doch wird bereits von einem Umsatzrückgang von 15 Prozent gesprochen.

Die deutschen Unternehmen müssen sich immer stärker gegen ausländische Konkurrenten behaupten, die zu ungleich günstigeren Konditionen produzieren. Viele deutsche Betriebe verlagern deshalb die Fertigung ins Ausland – ein katastrophaler Trend für den Arbeitsmarkt. Lange war die traditionsreiche Modelleisenbahn-Landschaft davor verschont, doch mittlerweile sprechen Schätzungen davon, dass etwa zwei Drittel aller Modellbahnen auf dem Weltmarkt in Fernost produziert werden. Fakt ist laut Adam, dass die Lohnkosten in Asien sowie in einigen Ländern Mittel- und Osteuropas erheblich unter denen in Deutschland liegen, wobei es auch hier regional zu starken Schwankungen kommt. Märklin zahlt in Göppingen bis zum Dreifachen dessen, was an anderen deutschsprachigen Standorten der Spielwarenindustrie üblich sei, sagte der Firmenchef. In Osteuropa liegen die Lohnkosten der Branche sogar nur bei gut zehn Prozent des Göppinger Standortes. Da am Firmensitz zwei Drittel aller Beschäftigten der Märklin-Gruppe arbeiten, entstand ein entscheidender Nachteil gegenüber der Konkurrenz.

Der Wettbewerbsdruck mit anderen Herstellern, wie ROCO und Fleischmann, wird für Märklin auch durch andere Faktoren beeinflusst. So bieten die Mitbewerber immer häufiger ihre Lokomotiven auch im Dreileiter-Wechselstrom-System an. Nicht unerheblich ist sicherlich auch die Tatsache, dass der Sammlermarkt auf Grund der wirtschaftlichen Lage und dem Überangebot stark schwächelt. Die hochpreisigen Sammler-Produkte, die vornehmlich in Handarbeit und hauptsächlich aus dem mit einem explodierenden Weltmarktpreis belasteten Rohstoff Metall gefertigt werden, haben sicherlich ihren berechtigten Preis. Hat Märklin hier wohl jahrelang zu stark auf den Sammler gesetzt und ihm ein nicht mehr finanzierbares Überangebot vorgesetzt? So manche Lokomotive aus dem Standardprogramm hatte weit niedrigere Verkaufszahlen pro Stück, als die meisten limitierten Sondermodelle. Die Crux bei allen Sammelleidenschaften ist es, dass die Sammlung komplett sein muss - wenn das nicht mehr möglich ist, dann muss man leider aufhören und das in der Regel dann auch ganz!

Ein Hoffnungsschimmer für eine positive Entwicklung der Umsätze bei Märklin liegt im steigenden Exportanteil und in der signifikanten Erhöhung der Absatzzahlen von Startpackungen. In den vergangenen Jahren hatte Märklin sein Geschäft in Zentraleuropa und den USA ausgebaut. Die Möglichkeiten für eine starke Expansion scheinen jedoch begrenzt. "Der Markt in den USA ist genauso groß, wie der in Europa, aber es ist nach wie vor ein sehr regionaler Markt", sagte Adams. "In den USA fahren die Kunden vor allem amerikanische Modelle aus dortiger Fertigung." Neben der Entwicklung von Neuheiten wurde 2002 viel in Startpackungen investiert und damit der Focus auf den Neueinsteiger gesetzt. Während im vergangenen Jahrzehnt pro Anno im Schnitt 100.000 Startsets verkauft wurden, waren es 2002 rund 140.000 hochwertige Anfangssets. Dies ist erstaunlich in Zeiten kritischer demographischer Entwicklungen in Deutschland und Europa, mit ihren absehbaren, katastrophalen Auswirkungen auf die Wirtschaft.