Nachdem das Europäische Parlament vergangene Woche in erster Lesung für höhere Sicherheitsstandards und verschärfte Kontrollen gestimmt hat, hält sich die deutsche Spielwaren-Branche dazu bislang noch bedeckt. Sie tut gut daran. Denn so manches könnte sich noch ändern.
Qualitätskontrolle und Marktüberwachung sind in diversen konsumorientierten Sektoren von enormer Bedeutung. Wer in der Pharma-Branche arbeitet oder einen Angehörigen hat, der dies tut, kann ein Lied davon singen. Wenn die US-Behörde FDA (Food and Drug Administration), die global als strengste und wichtigste gilt, ihre turnusmäßigen Kontrollen durchführt, dann hält das ganze Werk für zwei Wochen den Atem an. Findet ein Prüfer eine missratene Charge oder eine fehlerhafte Dokumentation, so kann eine ganze Produktlinie komplett vom US-Markt getilgt werden. Dies hat gute Gründe: Schließlich stellt man die höchsten Qualitätsansprüche an die Produkte, die sich die Bevölkerung einverleibt.
Gleiches sollte doch eigentlich auch für die Spielwarenbranche gelten. Schließlich können Kinder erstens noch nicht selbst verantworten, was sie konsumieren und zweitens sind sie – je nach Alter – bekannt dafür, gewisse Spielzeuge auch mal auf oralem Wege zu zweckentfremden. Umso alarmierender kam der Bericht des europäischen Spielwaren-Verbands TIE daher, der testweise 19 Artikel des chinesischen Online-Marktplatzes Temu geordert hatte, und bei sage und schreibe 18 davon erhebliche Sicherheitsmängel feststellte. Giftige Inhaltsstoffe oder scharfkantige Metallkomponenten würden Kinder teilweise in Lebensgefahr bringen.
Die Magie der tiefen Preise
Temu war im vergangenen Jahr raketenartig auf dem europäischen Markt durchgestartet, dann aber auch immer wieder öffentlich in die Kritik geraten, wegen teils erheblicher Qualitätsmängel. Klar lässt sich an dieser Stelle auch an den Verbraucher appellieren. Denn wer billig kauft, bekommt auch billig – dieser Grundsatz ist bis heute unverrückbar. Dass ein Turnschuh für zwölf Euro entweder nach giftigen Chemikalien riecht, wenn man ihn aus dem Karton holt oder nach wenigen Laufeinheiten auseinanderfällt, müsste sich angesichts der Wertschöpfungskette eigentlich von selbst verstehen. Dennoch üben die erfolgreichen Marketingkampagnen in Verbindung mit den Tiefstpreisen von Akteuren wie Temu eine enorme Anziehungskraft aus.
Wenn man also weder den Markt noch den Verbraucher für die Sicherheit von Spielwaren in die Pflicht nehmen kann, dann muss es die Politik regeln. Hier gibt es aktuell noch viel Nachholbedarf. So gelten die strengen Auflagen, die auch mit dem hohen Qualitätsniveau deutscher Hersteller einhergehen, bislang lediglich für Unternehmen mit Sitz in der EU. Dies scheint nicht zeitgemäß in einer globalisierten Welt, in der Produkte aus jedem entlegenen Winkel nur einen Klick vom Endkunden entfernt sind. Objekt der Regularien muss also der Absatzmarkt werden und nicht der Produktionsstandort.
Deutsche Spielwarenbranche hält sich bislang bedeckt
So war es durchaus ein Paukenschlag, als das Europäische Parlament in der vergangenen Woche mit überwältigender Mehrheit für ein Maßnahmenpaket gestimmt hat, dass auch auf Marktüberwachung, Rückverfolgbarkeit und Zollkontrollen abzielt und zur Einhaltung der Sicherheitsvorschriften einen digitalen Produktpass vorsieht. Die Verwendung schädlicher Chemikalien soll bald der Vergangenheit angehören und auch das Thema Datenschutz bei Spielzeugen mit digitalen Funktionen ist berücksichtigt worden.
Wird also bald alles besser? Auf die Gesprächsanfragen von BRANDORA wollte bislang kein Branchenakteur Stellung beziehen. Dafür gibt es nachvollziehbare Gründe. Der veröffentlichte Text stellt zunächst lediglich den Standpunkt des Parlaments in erster Lesung dar. Vom 06. bis 09. Juni findet die Europawahl statt. Danach werden die handelnden Akteure möglicherweise ganz andere sein und die Karten könnten noch einmal neu gemischt werden.
Plötzlich auch Buntstifte vor dem Aus?
Ein weiterer Indikator, dass sich bis zur Verabschiedung handfester Vorschriften inhaltlich noch einiges tun wird, wurde vergangene Woche quasi noch als Beipackzettel zur Pressemitteilung der EU geliefert. Denn der europäische Branchenverband TIE hat für den bisherigen Textentwurf neben einer Prise Lob auch reichlich Kritik übrig. TIE-Generaldirektorin Catherine Van Reeth spricht sogar insgesamt von einem Rückschritt.
Demnach sei die Übergangsfrist von 30 Monaten, in denen honorige Spielzeughersteller die neuen Vorgaben umsetzen sollen, viel zu kurz. Auf der anderen Seite seien einfache Gelegenheiten versäumt worden, unsichere Artikel schneller vom Markt zu entfernen. Weiterhin werde die Verwendung von sicherem Spielzeug, wie etwa Buntstiften und Kreide oder auch des sicheren und haltbaren Edelstahls extrem erschwert oder sogar unmöglich gemacht.
Man muss also kein Prophet sein, um vorauszusagen, dass die die einschlägigen Branchenvertreter in den kommenden Monaten den intensiven Dialog mit der Politik suchen und für die eigenen Interessen einstehen werden. Schon jetzt bringt man sich bei den wahrscheinlichen neuen Ausschussmitgliedern in Stellung, um bestmöglich auf die Gesetzgebung einzuwirken. Mögen die Spiele beginnen!